Wiener Art Foundation features

 

Die Ausstellung "Moi, Non-Moi" (Ich, Nicht-Ich) oder „Parabel Akademia“ in der Galerija Vartai vereint zum ersten Mal eine Selektion des zeichnerischen Werkes von Louise Bourgeois, Vieira da Silva und Maria Lassnig.

Diese Ausstellung ist eine Kollaboration mit Foundation Vieira da Silva Lissabon, Maria Lassnig Stiftung Wien sowie der Sammlung Antonio.

 

Die drei Künstlerinnen beschäftigen sich mit einer Zeitperiode, die in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts liegt und für Bourgeois und Lassnig bis vor einigen Jahren andauerte.

Ihre künstlerischen Haltungen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, weisen in ihren Zeichnungen eine Textur auf, die als Konsequenz unabhängiger Anschauung zu werten ist. Ihre „Ästhetik“ ist mehr der Ausdruck eines persönlichen Willens als einer formalen Anpassung.

Im Bezug auf das Medium Zeichnung ist hier ein neuer Aspekt von Bedeutung: das didaktische Vermächtnis des Mediums als „Studie“ zu verlassen und sich an dieser Stelle dessen Marginalität radikal zu nutze zu machen.

Es wird angedeutet, dass die drei Künstlerinnen speziell dem Medium Zeichnung eine performative Note verliehen haben. Ihr künstlerischer Beitrag markiert außerdem einen wichtigen Punkt, im leise sich anbahnenden Prozess, sich vom Kanon der klassischen Moderne loszusagen und den Wechsel zur Contemporary Art einzuläuten.

Ebenso profitiert das Medium Zeichnung von dieser Tendenz, der klassischen Moderne mit eigenen Ausdrucksmitteln entgegenzutreten.  Die Zeichnung rückt bei ihnen in die Mitte der künstlerischen Reflexion, gleichberechtigt mit deren Hauptmedien: bei Da Silva und Lassnig die Malerei und bei Bourgeois die Bildhauerei.

Ein erster kuratorischer Ansatz läßt sich daran anknüpfen. Der Zweite versteht sich als eine assoziative Annäherung ausgehend von drei Überlegungen:
 

Subtext 1
„Moi et Non Moi“ ist der sprachliche Ausdruck des französisch-litauischen Philosophen Emmanuel Levinas, in dessen Geburtsstadt Vilnius diese Ausstellung stattfindet. Er erläutert darin wie das „Ich“ zum „Anderen“ steht und umgekehrt beziehungsweise welche Ethik dieses Verhältnis fordert. 

Levinas sieht den Raum des Verhältnisses sehr breit gefächert. Das künstlerische „Event“, das Kunstwerk selbst überhaupt nach seiner Philosophie, ist einer der speziellen Spielorte des „Moi“ und zugleich des „Non Moi“( der Andere ). Das Schaffen der drei Künstlerinnen könnte unter diesem Aspekt, wegen dessen besonderen performativen Blickwinkel, zu betrachten sein.

Ein zweiter Subtext bildet kuratorisch konstruierte assoziative Leseart, die hier unter der Bezeichnung „Parabel Akademia“ zu tragen kommt. Die drei Frauen besuchten bewusst Kunstakademien, Bourgeois von 1936-1938 in Paris, Da Silva 1927 in Lissabon und Lassnig von 1939-1945, um Künstlerinnen zu werden.

Der Besuch der Akademie garantierte damals noch weniger als heute, dass diese junge Frauen jemals KünstlerInnen werden oder ihnen irgendwelche Karieren versprochen würden. In diesen Institutionen hatten sie das Handwerk zu erlernen und dies beginnt nach akademischer Gepflogenheit mit dem Fach des Zeichnens. Darin waren sie sehr gut, dank der Pflege ihrer Begabung seit Kindesalter.

Die akademische Ausbildung gilt schon immer als Grundbedingung, um überhaupt „Künstler“ zu werden. Das Akademische lehrt ein bestimmtes Schema, wie das Meisterhafte durch die Vollkommenheit der Technik oder des Stils zu erreichen ist. Dieser Kanon wird aus der Renaissance übernommen und beruht auf der griechischen Kultur.

Es werden neuen Begriffe gelehrt, die das “Meisterhafte“ umschreiben. Ganz vorne steht der Begriff „Contrrapposto“. Er beschreibt die Hervorbringung der Seele einer Figur durch die Drehung von Innen nach Außen, wodurch die Figur lebendig wirkt.

An diesem Schema knüpft das Konstrukt „Parabel Akademia“, um künstlerische Akzente im zeichnerischen Werk dieser Künstlerinnen zu deuten.

Ein dritter Subtext ist das Verhältnis dieser Künstlerinnen zur „klassischen Moderne“. Zu manchen Vertretern pflegten sie auch direkten Kontakt ( Andrea Breton, Fernand Leger etc.).

Diese Künstlerinnen hatten eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem „vollendeten“ Kanon der Moderne. Sie wollten dies unbedingt überwinden und einen eigenen „Still“ entwicklen. In dieser Hinsicht kann von einem „prä-feministischen“ Vorstoß mit eigener Formensprache gesprochen werden.

 

Lassen wir die Künstlerinnen selbst zu Wort kommen und ihren Bezug zum Medium der Zeichnung vorstellen:
 

 „Ich arbeite an den Zeichnungen nachts im Bett, auf Kissen gestützt. Vielleicht mit ein bisschen Musik, oder ich höre einfach den Geräuschen der Straße zu. Meine Zeichnungen bewahre ich sorgfältig auf. Sie entspannen mich und helfen mir zu schlafen. Zeichnungen sind Denkfelder, es sind Ideen, die ich mitten im Flug erhasche und auf das Papier setze. Alle meine Gedanken sind visuell“

Louise Bourgeois (in passage dagereux von Jens Ullheimer 2010)

 

 “Sometimes I was completely alone and sometimes I was sad, even very sad. I took refuge in the world of colours and the world of sounds.... I believe that, for me, all that got mixed up into a single thing”.

“With what I knew of life and with what I knew from books, I still made things up. And I tried to draw them (...). Today in me there is this thing that continues to exist in me (...).”

Vieira da Silva 

 

„Meine Zeichnungen haben mehr Freiheit und Beweglichkeit in sich als die Ölbilder, weil ich ein Blatt Papier, das wohl auf einer harten Unterlage sein muss, besser platzieren kann, auf meinen Knien, auf dem Bauch im Bett, auf dem Tisch, am Boden, am Sessel, und ich selbst davor kann alle möglichen Stellungen einnehmen, was mit einer aufgespannten Leinwand nicht oder nur schwer möglich ist.“

Maria Lassnig


 

Bei der Auswahl der Zeichnungen für diese Ausstellung fielen mir einige formale sowie inhaltlich zusammenhängende Aspekte auf:

Bourgeois, Da Silva und Lassnig hatten eine unorthodoxe Blickweise auf den „Raum“. Es half Ihnen, anstatt einer Stringenz eine spielerische Zeichensprache zu entwickeln.

Statt formalen Hierarchien zu entsprechen, verfolgten sie marginale Zustände. So entwickelte sich ihre experimentelle Zeichensprache zu einer Selbstreflexion und zum Motor ihrer heranwachsenden künstlerischen Haltungen.

Da Silva geht es um die Metapher der Raumauflösung als eine tief empfundene Intimität. Bourgeois sieht das unendliche „Gewebe“ als formale Raumfreiheit. Lassnig traut sich als Künstlerin selbst darüber, dass sich der „Raum“ der Verzerrung ihres Körpers annimmt.

Dadurch erlangt die Zeichnung langsam ein künstlerisches „Thema“, eine Textur mit Bezug zur Gegenwart und einen eigenen Kontext im gesamten künstlerischen Schaffen.

Nehmen wir uns ein paar Beispiele aus den hier gezeigten Arbeiten heraus und lassen sie uns einige Elemente dieser „Gegenwartstexturen“ anschauen.

Aus Bourgeois zeichnerischem Werk wird in der Ausstellung die Serie „Hang on“ von 2005 gezeigt. Es ist eine Edition von 9 Serien. Jede Serie besteht aus 17 Blättern.

Die Serie bezieht sich auf performative Installationen mit skulpturalen Figuren, denen die Kraft abhanden gekommen zu sein scheint und in sich zusammenzusacken. Sie bleiben dort hängen, wo sie gehalten werden.

Das Thema der Balance, wie sie funktionieren, das Gleichgewicht der Kräfte, der Gegensätze und deren dramatischen Wirkung auf unsere Wahrnehmung und Gefühle durchziehen das  gesamte Werk Bourgeois.

Jedes Blatt vereint eine „Zeichnung“, etwas visuelles Lebendiges und einen Text „die Unsichtbare Poesie“. Das formale „Schauspiel“ insistiert eine Koexistenz zwischen Text und Zeichnung.

Der Raum wird durch das zeichnerische Geschehen unterwandert. Die „Hang on“-Serie beschreibt einen künstlerischen „Raum“ mit einem künstlerischen Thema, überschrieben durch ein „Skulpturprogramm“. Im Mittelpunkt steht das „Hängen“ als skulpturaler Code, der sich in diesen Blättern als Szenen und Hinweise ausbreiten.

In dem Blatt „Contemplate a finished and concentric world like a rose“ haben sich die Blätter der Rose zu einer schematischen Erscheinung angeordnet. Getragen von einem in sich gedrehten Stiel. Der Text im rechten Teil des Blattes spricht mit einer unhörbaren, aber „gedachten“ Resonanz.

In der Parabel Academia ist die Skulptur eine Gestalt des „Contrrapposto“... the pose gives life to static figures.

„Hängen“, als physischer Akt wird zu einem künstlerischen Akt, zu einem Moment der Identität, des selbst „Moi“. Die Zeichnung ist der Raum, in dem sich der Betrachter „Non-Moi“ selbst einschreibt. Im Raum dieser Zeichnungen steigt das „Sfumato“ (to evaporate like smoke)..und durch „Pentimento“ werden viele Seiten orchestriert.

In der Zeichnung „Der Mensch ist doch ein armes Tier“ von Maria Lassnig aus dem Jahr 1997 bekommen wir die Ironie der Künstlerin in voller Evidenz zu spüren. Ihr Körper wird mit dem naturalistisch aufgeschreckten Tier verglichen. Diese Gestalt hat längst das Bewusstseinsstadium verlassen. Es ist eine höhere dramatischere Stufe des eigenen Ichs, des „Moi“ als Künstlerin.

Lassnigs Hauptthema und ihre Formensprache wird in den Körper-Bewusstseins-Bildern vorgefunden, die sowohl ihre Malerei als auch das Zeichnerische Werk beherrschen. Offensichtlich gibt sich Lassnig nicht mit dem Konzept „Raum“ zufrieden, wie er bisher in der Kunst eingeschrieben ist.

Der Raum muss sich malerisch und zeichnerisch mit dem eigenen Körper decken. Er nimmt dessen Gestalt an und wird zu einer Konkave. Das „Moi“ ist der künstlerischer Körper und das künstlerische Bewusstsein. Dieser performative Aspekt ist neuartig und nimmt die Frage nach der Identität des Anderen „Non-Moi“ vorweg.

Lassnig leitete einen bisher nicht aufgekommenen Dialog zwischen Betrachter und ihren Körper-Bewusstseins-Bildern ein.

Nach der „Parabel Akademia“ hat sich auch das Schwere, das Grobe als „Impasto“, ins Bild gerückt, nicht nur das „Sfumato“ als leicht und schön.

Da Silva sah die Suche nach ihrer Identität in der Bewältigung der formalen Zugänge aus der Malerei. Sie wollte die vorherrschenden Konventionen in der Malerei überwinden. Dies zentrierte sich in einem Thema. Die Todessehnsucht stand im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Dies, als Bestand ihres „Moi“, drängt sich in die Malerei.

Sie erfand die „Auflösung“. Die Materie der Farben entfaltet sich in ein Netz, manchmal spiralenförmig und manchmal einfach nur flach. Es ist der Raum vor der Schwelle, die irgendwann endgültig das Ich „Moi“ übertreten werde und sich im Netz aufgibt.

Die Zeichnung „Desenho anatomico“ aus dem Jahre 1926 hatte Da Silva mit Tinte und Aquarellfarben auf einem einsamen Knochen eingefangen. Das Blatt beinhaltet einen ihrer  handschriftlichen Texte über anatomische Erläuterungen. Er symbolisiert das Fragment „non-finito“.

In ihrem gesamten künstlerischen Schaffen war Da Silva darauf bedacht ein Thema zu formen, welches allein aus der Disziplin der Malerei und der Zeichnung kommt. Eine Äquivalenz zur großen „Sehnsucht“.

Die Farben lösen sich in einem Netz auf. Diese Technik behält sie auch in den Zeichnungen und Kollagen konsequent bei. Hier sieht Da Silva Zeichen eines „Themas“. Ihre Sicht auf die Welt erhält künstlerisch eine konzeptuelle Note, die praktisch einen ganz neuen und unverbrauchten Aspekt schafft. Es deckt sich mit ihrem großen Thema „Todessehnsucht“, in dem sich das „Moi“ reflektiert.

Das „Non-Moi“ der „Andere“ steht vor einem „konzeptuellen Beitrag“. Da Silva ist ebenfalls in der Parabel Academia anzutreffen. Der Knochen und dessen Spiegelbild bilden den Beckenknochen des „Contrrapposto“ . Da Silva erinnert eindringlich an das Konzeptuelle in der „non-finito“- der Fragmentmanier und im immer wieder kehrenden „pentimento“...Repentance, welches sich löst.

Amer Abbas, 2018

 

More infos at: http://www.galerijavartai.lt/index.php?menu=parodos&itemid=192

back